So kann es nicht weitergehen: Praxis am Protesttag am 2.10.2023 ganztägig geschlossen!

Ein “weiter wie bisher” kann es nicht mehr geben, angesichts der prekären Arbeitsmarktsituation und unsicherer Finanzierung laufen zahlreiche Hausärzt:innenpraxen schon lange am Limit. Bei aller Notwendigkeit, sich auch dringend mit der Reformierung der Kliniklandschaft auseinanderzusetzen hat unsere gesundheitspolitische Führung die Niedergelassenen völlig aus den Augen verloren – vermutlich hat kein:e Abgeordnete:r jemals in der misslichen Lage gesteckt, schlicht keine aufnehmende Hausärzt:innenpraxis zu finden.

Anders lässt es sich nicht erklären, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Pressekonferenz am 13.9.2023 auf eine gezielte Frage nach einer Reaktion auf den Forderungskatalog, den die KBV in einem Brandbrief an das Ministerium gerichtet hatte, sich in Unkenntnis hüllt und den Forderungskatalog gleichstellt mit “vielen Briefen und Forderungen” aus Industrie und von anderen Absendern, die er sich “von der Gedächtnisleistung” wirklich nicht merken könne (siehe Video hier). Passend dazu kommentiert er auch im Nachgang keine einzige der gestellten Forderungen. Dass hier keine abstrakte und/oder abstrusen Luxusgedanken, sondern basale Sorgen um die Versorgungssituation der Patient:innen formuliert wurden erkennt ein jeder Laie (siehe Grafik – Quelle: KBV).

Um sich mehr Gehör zu verschaffen, bleibt den Praxen einmal mehr nur der Weg, über eine Einschränkung des Versorgungsumfangs auf sich aufmerksam zu machen.
Als erster Schritt wird erneut ein Praxisschließtag von zahlreichen Praxen am 2.10.2023 anstehen!

Unsere Forderungen, formuliert durch den Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, lassen sich wie folgt verkürzt darstellen:


Reform der Versorgungsstrukturen
  • Abschaffung der starren Quartalslogik im ambulanten Bereich, die in ihrer aktuellen Form Fehlanreize in der Versorgung setzt
  • Auskömmliche quartalsübergreifende Struktur- oder Vorhaltepauschalen (analog Krankenhaus), um Einrichtung und Erhalt allseits verfügbarer Praxisstrukturen einfach und nachhaltig zu finanzieren
  • Umsetzung des Primats „Versorgung am Bedarf – nicht an Bedürfnissen“ im Zuge der Reform der Notfallversorgung. Bei der Erarbeitung von Reformvorschlägen sind alle an der (Notfall-)Versorgung teilnehmenden Gruppen zu beteiligen.
  • Die Orientierung des Gesundheitssystems muss stärker auf die gesundheitliche Primärversorgung ausgerichtet werden

Moderne Teamstrukturen in Praxen fördern und Versorgungsressourcen schonen
  • Die finanzielle Stärkung der wertvollen Arbeit der Praxisteams im EBM, etwa in Form eines längst überfälligen fairen Teampraxis-Zuschlages
  • Keine Zersplitterung der Versorgung mit immer neuen Schnittstellen (Gesundheitskiosk, Community Health Nurse etc.), sondern Stärkung der bestehenden Teams und Praxen und ein klares Bekenntnis zur hausarztzentrierten, multiprofessionellen Teampraxis mit hybrider (digital und analog) persönlicher, patientenzentrierter Versorgung.

Angemessene und faire Finanzierung
  • Entbudgetierung – Mehrleistung bei größerem Patient:innenaufkommen (z.B. bei Schließung umgebender Praxen) darf nicht zu finanziellen Einbußen führen!
  • Hausärztliche Versorgung muss konkretisiert, gestärkt und aktiv finanziell gefördert werden
  • Förderung einer kontinuierlichen Patient:innenbetreuung und weniger Einzelleistungen
  • Steuerung insbesondere von multimorbiden Menschen muss finanziell abgebildet und gefördert werden
  • Angemessene Finanzierung der Hausbesuche
  • Inflationsausgleich über eine faire Steigerung des Orientierungspunktwerts
  • Kalkulation aller hausärztlichen Leistungen angepasst an die hausärztliche Arbeitsweise
  • Kopplung der Lohnkosten für Praxismitarbeitende 1:1 an die Entwicklung im stationären Sektor

Hausarztprogramme als Präventionsleistung fördern
Die HZV ist mit etwa neun Millionen eingeschriebenen Versicherten ein fester Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems. Diverse Untersuchungen haben überdies positive Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten im Bereich der Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartärprävention nachgewiesen: HZV-Patientinnen und -Patienten sind besser versorgt, haben höhere Impfquoten, weniger Inanspruchnahmen von Notfallstrukturen etc. Mit der Einschreibung in die HZV leisten Patientinnen und Patienten deshalb einen wichtigen Beitrag für ihre Gesundheitsprävention!

  • Die Teilnahme an der HZV sollte formal durch den Gesetzgeber als Präventionsleistung anerkannt und durch die Krankenkassen, im Rahmen ihrer Präventions- und Bonusprogramme für die Patientinnen und Patienten, bonifiziert werden
  • Auch die Krankenkassen sollten davon profitieren, wenn ihre Versicherten mehr hausärztliche Steuerung in Anspruch nehmen und sich darauf aufbauend die Inanspruchnahme gebietsfachärztlicher und stationärer Versorgung am Versorgungsbedarf orientiert.

Förderung von Digitalisierung, die auch funktioniert
Die Entwicklung technischer Anwendungen muss in enger Abstimmung mit Praktikerinnen und Praktikern an der Basis der Versorgung erfolgen und umfassend unter Realbedingungen getestet werden. Die daraus entstehenden Anwendungen werden dann von allein eine entsprechend breite Nutzerschaft finden und müssen nicht durch Zwangsmaßnahmen eingeführt werden. Jegliche Sanktionen gegen die Ärzteschaft lehnen wir ab.

Reform der Approbationsordnung
Die aktuelle Altersstruktur der Hausärztinnen und Hausärzte – mehr als ein Drittel ist älter als 60 Jahre – macht mehr als deutlich, dass massiver Bedarf für Nachbesetzungen der hausärzt-lichen Arztsitze besteht, wenn das aktuelle Versorgungsniveau aufrechterhalten werden soll. Die universitären Ausbildungsstrukturen scheitern jedoch weiter daran, ausreichend hausärztlichen Nachwuchs auszubilden.

  • Die Allgemeinmedizin muss deshalb entsprechend dem Konsens zum Masterplan Medizinstudium 2020 endlich in der Approbationsordnung gestärkt werden. Dafür ist mindestens die Reform der Approbationsordnung nach den mit den Ländern abgestimmten Vorschlägen des BMG zeitnah umzusetzen.
  • Die Ausbildung muss darüber hinaus viel stärker ambulant erfolgen, um dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung gerecht zu werden. Es ist für ein funktionierendes Gesundheitssystem nicht sinnvoll, mehr Geld in ein ungesteuertes Ausbildungssystem zu geben.

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