Paxlovid für alle Covid-Erkrankten?

So, so – Herr Lauterbach ist “trotz großer Vorsicht an Corona erkrankt. Trotz 4. Impfung. Die Symptome” seien “noch leicht. Zur Vermeidung von Komplikationen nehme” er “Paxlovid.” Für alle, die nun nicht mehr weiterlesen sei gesagt: Für die Masse der LeserInnen hätte ein solches Vorgehen mehr potenziellen Schaden als Nutzen!

Einmal mehr stellt unser Bundesgesundheitsminister wissenschaftliche Daten mit einem kleine Tweet auf den Kopf. Paxlovid (Nirmatrelvir/Ritonavir) hemmt als Virusprotease die Verarbeitung von Eiweissvorstufen des Virus und damit die Vermehrung von Coronaviren. Das funktioniert tatsächlich recht effektiv.

Schaut man aber “unter die Haube” und betrachtet die gesicherten Erkenntnisse zu der Substanz relativiert sich die leichtfertige Entscheidung Herrn Lauterbachs, dieses Präparat zu nehmen, doch erheblich. Vermutlich kaum einE PatientIn mit ähnlicher Konstellation würde nach einer hausärztlichen Beratung mit Darlegung der Faktenlage diesem Beispiel folgen.

1. Studienlage

Paxlovid wurde bei über 2.000 PatientInnen mit positivem PCR und einer frischen Infektion (höchstens 5 Tage Symptomdauer) und spezifischen Risikofaktoren (z.B. Alter ab 50, Diabetiker, etc.) verabreicht. Grundsätzlich von der Studie ausgeschlossen waren bereits Geimpfte oder Genesene. Schaut man sich die Studiengruppe an, ist die Wirksamkeit eindeutig vorhanden: während in der mit einem Scheinmedikament (Placebo) behandelten Kontrollgruppe bei 6,3% der PatientInnen eine Krankenhauseinweisung oder schwerwiegende Komplikation auftrat, war dies bei der tatsächlich mit Paxlovid behandelten Gruppe nur bei 0,8% der Fall. Es müssen also 19 Menschen mit den Studiengruppeneigenschaften behandelt werden, damit einer vor diesem Schicksal bewahrt wird. Über eine solche sogenannte “Number Needed to Treat” (NNT) wären wir bei vielen etablierten Medikamente glücklich. Der größte Anteil an der guten Effizienz bot dabei aber die Gruppe der über 60-Jährigen (in dieser Subgruppe bestand sogar ein Verhältnis von 0,5% zu 12,9 zwischen Scheinmedikament und Paxlovid). Abschließend muss noch angemerkt werden, dass die Studiengruppe nahezu ausschließlich an der Delta-Variante erkrankt war.

2. Interaktionspotential

Paxlovid besteht, wie eingangs angemerkt, aus den beiden Substanzen Nirmatrelvir und Ritonavir. Während Nirmatrelvir als die eigentlich wirksame Virusprotease die Vermehrung der Coronaviren hemmt wird durch den Zusatz Ritonavir die Effizienz der antiviralen Wirkung überhaupt erst erreicht: Ritonavir hemmt recht potent den Abbau von Nirmatrelvir in der Leber und ermöglicht so überhaupt erst therapeutisch wirksame Blutspiegel der Substanz. Genau hier ist aber der Haken an der Sache: neben Nirmatrelvir wird auch der Abbau unzähliger Medikamente (verbreitete Blutdruckmedikamente, Antidepressiva und Antibiotika seien hier nur exemplarisch genannt) in der Leber negativ beeinflusst. Ohne eine Pausierung oder Dosisreduktion bestehender Medikation kann die Einnahme so auch rasch gravierende negative Folgen für die behandelten PatientInnen haben.

3. Wissenschaftlich fundierte Therapieentscheidung:

Unter Beachtung der Studienlage steht die sinnvollerweise zu behandelnden Personengruppe fest: vorrangig sollten Menschen mit relevantem Risikopotenzial (Alte, Diabetiker, Immmungeschwächte, etc.), die weder vollständig geimpft noch genesen sind, mit Paxlovid behandelt werden. Nur für diese Personengruppe ist belegbar, dass die Verwendung von Paxlovid mehr Nutzen als Schaden für sie haben könnte – und hier ist schon der Unsicherheitsfaktor integriert, dass über die Wirksamkeit gegenüber der aktuell vorherrschenden Omikronvarianten keine Aussage getroffen werden kann!

Nun wissen wir nicht viel über Herrn Lauterbachs Gesundheitsstatus hinsichtlich chronischer Erkrankungen und ober er so wenigstens zur Indikationsgruppe gehören könnte – das geht auch niemanden etwas an. Er ist allerdings definitiv vollständig geimpft. Auf jeden Fall konterkariert er aber mit seiner lapidaren Twitter-Äußerung das schwerwiegende Schädigungspotenzial und die für vernünftige MedizinerInnen gebotene Zurückhaltung in der Anwendung nach dem Grundsatz “nihil nocere” (“schade niemandem”). Die Bevölkerung kann die Äußerung ja nur als Aufforderung auffassen, sich nun doch bei jeglicher Corovirusinfektion von ihren ÄrztInnen schnellstmöglich Paxlovid verordnen zu lassen – und genau das wäre ein folgenschwerer Fehler und kommt so mancher, schon fast wieder vergessenen Aufforderung durch Donald Trump hinsichtlich zweifelhafter oder gar schädlicher “Therapien” im Rahmen der Pandemie nahe!

Vollständig Geimpfte/Genese ohne relevante Risikofaktoren sollten tunlichst Abstand vom Beispiel unseres Bundesgesundheitsministers nehmen – ihrer eigenen Gesundheit zuliebe!

Quellen:

[1] EMA: Fachinformation PAXLOVID, Stand Dez. 2021
[2] FDA: Fact Sheet PAXLOVID, Stand Dez. 2021
[3] EMA: Assessment Report PAXLOVID, Stand Dez. 2021
[Bild] Karatara/pexels.com

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