Kaum atmet der Gesundheitssektor nach drei Jahren Pandemie etwas durch ziehen sich die nächsten Wolken am Himmel zusammen – gekonnt präsentiert das Gesundheitsminister Lauterbach aber eher als “Lichtblick”. Ohne Zweifel suchen zu viele Patient:innen die Notaufnahmen der Kliniken auf und belasten über Gebühr die dort vorgehaltenen Ressourcen ohne echten Bedarf.
Diese Fehlallokation liegt aber mitnichten nur daran, dass es keine Strukturen für die ambulante Versorgung gäbe: fast täglich erhalten wir Kurzbriefe aus der Zentralen Notaufnahme, in denen über Vorstellungen aufgrund Rückenschmerzen, Infekt, oder längerfristig bekannten Beschwerden berichtet wird. Dies geschieht gehäuft auch an Abenden nach normalen Werktagen an denen wir unseren Patient:innen in der Praxis stets Notfallkonsultationen, abhängig vom Krankheitsbild, einräumen können! Wie wenig Gefühl für die Wertigkeit von Notfallressourcen bei manchen Hilfesuchenden besteht, zeigen erlebte Alarmierungen eines Rettungswagens(!) bei Hexenschuss oder Notarzteinsätze, bei denen ich als Notarzt vom auf der Straße stehenden Patienten mit Koffer am langen Arm empfangen wurde (“ich muss doch in die Klinik und da muss mich jemand fahren, Herr Doktor!”).
Mittlerweile liegt ein Reformkonzept der Regierungskommission für die Notfallversorgung vor – in dieser Kommission sitzt übrigens einmal mehr kein:e niedergelassene:r Kolleg:inn oder gar Hausärzt:in! Dass angesichts der prekären Situation in den Notaufnahmen der Kliniken Reformen stattfinden müssen ist eine zweifelsfrei zu unterstützende Forderung. Insbesondere die unbefriedigende Alarmierungssituation über die 116 117 und die allen bekannten Warteschleifen führt nicht selten in der Folge zu Alarmierungen über die 112 und ist zu überdenken. Hier sieht das Papier sinnvollerweise eine Rückkehr zur Bündelung der Ressourcen in den Integrierten Leitstellen vor – das ist auch unbedingt so zu unterstützen. Ebenso ist der “gemeinsame Tresen” der Notaufnahme ein erstrebenswertes Ziel: hier kann ein:e Allgemeinmediziner:in/Notfallmediziner:in entscheiden, ob hier tatsächlich die Notfallversorgungsstrukturen der Klinik notwendig sind oder die direkte allgemeinmedizinische Behandlung ausreicht.
Hinsichtlich der Personalplanung in der künftigen Notfallversorgung stellt sich aber tatsächlich die Frage, ob Vernunft und Weitsicht in den Köpfen der Kommissionsmitglieder Raum findet. U.a. folgende Vorgaben sind Wünsche zur Umsetzung
- „Die KV-Notdienstpraxen in den INZ sind in Krankenhäusern der Notfallstufe 2 mindestens wie folgt zu öffnen: mo. bis fr. 14 bis 22 Uhr; sa., so., feiertags 9 bis 21 Uhr. In den Krankenhäusern der Notfallstufe 3 sind die KV-Notdienstpraxen in der Regel 24/7 zu betreiben.“. Die Niedergelassenen werden in Zukunft also absurderweise ihre Praxen schließen müssen, um „Notfallversorgung“ zu machen, die in Regelzeiten derzeit bei den Niedergelassenen erledigt werden könnte und wird!
- Zitat: „Der aufsuchende KV-Bereitschaftsdienst bleibt erhalten und ist zu einem flächendeckenden 24/7-Angebot auszubauen.“ Das erfordert dann parallel noch mehr Ärzt:innen und verschärft die Thematik!
- Zitat: “Leitstellen müssen eine leistungsfähige, rund um die Uhr erreichbare allgemeinärztliche und kinderärztliche telemedizinische Beratung bzw. Videosprechstunde einrichten”. Auch dies erfordert zusätzliche Ärzt:innen, die den telemedizinischen Dienst ableisten!
- Zitat: „Ärztinnen und Ärzte der KV-Notdienstpraxen und des aufsuchenden KV-Bereitschaftsdienstes sollen über Facharzttitel für Innere Medizin, Chirurgie, Allgemeinmedizin oder Anästhesie oder über eine Weiterqualifikation in Notfallmedizin verfügen.“. Die Zahl der Ärzt:innen, die am Bereitschaftsdienst qua Facharzttitel teilnehmen können wird im Vergleich zu heute massivst eingeschränkt und setzt den o.a. Kritikpunkten noch die Krone auf! Ich selbst bin auch Notfallmediziner und beteilige mich regelmäßig (wie viele niedergelassene Kollegen) an der schwierigen Aufrechterhaltung der Notarztbesetzung in unserem Flächenkreis – auch das können wir nicht mehr leisten, wenn wir stattdessen tagsüber „Notfallsprechstunde“ in der Klinik ableisten müssen!
Bislang hat sich leider in der Politik eingebürgert, die hausärztliche Medizin nahezu völlig auszublenden. Dies war in den letzten Jahren, nicht nur im Rahmen der Pandemie, sehr gut spürbar. Zum Thema „Ärzt:innenmangel“ im Rahmen der Primärmedizin fehlen nach wie vor schlüssige Ansätze.
Dennoch konnten wir in den vergangenen Jahren mit einer konsequenten Reformierung der Notfalldienste und „Normalisierung“ der Dienstbelastung Niedergelassener neben ihrer Vollzeittätigkeit in den Sprechstunden und, insbesondere in Baden-Württemberg, der Förderung der Primärmedizin durch eine Selektivvertragsversorgung, eine zunehmende Steigerung des Interesses an der Allgemeinmedizin (und auch der Niederlassungswilligkeit) spüren.
Mit dem vorgelegten Reformvorschlag wird das bislang mühsam Erreichte schlagartig zerschlagen. Ich gehe hier sogar einen Schritt weiter: es könnte das System der hausärztlichen und niedergelassenen spezialärztlichen Versorgung in der Breite existenzgefährden. Grundsätzlich finden sich in dem Papier durchaus gute Ideen, so kann die Integration von ZNA und KV-Praxis nur sinnvoll sein und kann Fehlallokation im System verhindern. Auch die ILS wieder als DIE zentrale Leitstelle für alle Belange zu etablieren ist goldrichtig – das zeigen die aktuellen Erfahrungen im Landkreis.
Schaut man sich aber die Gesamtplanung an, kommt der Gedanke auf, das tiefere Ziel könnte eine Zerschlagung des niedergelassenen Sektors sein und die zukünftige ambulante Medizin solle sich dann doch bitte nur noch an Polikliniken abspielen, die an Kliniken eingerichtet werden. Dass aktuell parallel in der Diskussion ist, die Zahl der Kliniken drastisch zu reduzieren bringt dann schnell die Frage auf, wie dies funktionieren soll. Die Vorgabe, die Versorgung der Hilfesuchenden damit zu verbessern, kann mit solchem einem Konzept aber sicher nicht erfüllt werden.
[Bild: Bing/Microsoft ImageCreator KI]