Covid-Booster immer weiter – verlieren wir die Sicht auf das Wesentliche?

Die Erfolgsgeschichte der Covid-Impfstoffe ist, gemessen an ihrer Wirksamkeit, eine Story, die ihrergleichen in der Medizingeschichte sucht. Selten wurden in kürzester Zeit gleich mehrere Wirkstoffe bis zur Marktreife im Eilverfahren und gleichzeitig an vergleichbar riesigen Studienpopulationen erforscht (wo sonst hatten Zulassungsstudien mehr als 40.000 TeilnehmerInnen?). Schon die ersten Ergebnisse waren überzeugend: in der Gruppe der Geimpften zeigten sich 95% wenige Covid-Infektionen als bei den Ungeimpften [1]. Schon damals wurde aber offen kommuniziert, dass z.B. der Transmissionsschutz (die Übertragung auf Dritte) und der Schutz vor einer Covid-Infektion mit nur auf die Schleimhäute begrenztem Befall und mäßigen Begleitsymptomen (vergleichbar einer sog. “Erkältung”) nicht sicher sei. Darum ging es auch nie: denken wir an Anfang 2020 zurück stand stets im Mittelpunkt, die Sterbefälle bei der “vulnerablen Gruppe” zu verhindern und Krankenhauseinweisungen mit ernsthaften Verläufen zu mindern.

Genau dieses Versprechen konnte die Covid-Impfung ohne wenn und aber halten! Da gerade bei den Älteren das Immunsystem einem natürlichen Effizienzverlust mit zunehmenden Lebensjahren unterliegt, der sogenannten Immunseneszenz, wurden im Verlauf Daten bekannt, dass auch zweimalig Geimpfte aus dieser Altersklasse im Verlauf wieder Infektionen mit lebensbedrohlichem Verlauf bekommen könnten. In Israel und Großbritannien konnte für diese Gruppe die Wirksamkeit einer dritten Impfung mit Reduktion der schweren/bedrohlichen Verläufe vor allem bei über 70-jährigen belegt werden (z.B. bei 70-79jährigen Reduktion schwerer Verläufe um den Faktor 25!) [62,63]. Auf diesen Daten basierend wurde weltweit eine dritte Impfung für Risikogruppen völlig zurecht empfohlen, so auch in Deutschland durch die STIKO.

Und dennoch, die Alterung des Immunsystems lässt sich nicht aufhalten. So fand man, wieder mal in Israel, eine erneut eindrucksvolle Reduktion schwerer Covid-Erkrankungen und Todesfällen bei zweimalig geboosterten Personen ab 60 Jahren – darunter aber nicht [75]. Das Ergebnis kennnen wir bereits, wird doch hierzulande allen über 70jährigen sowie chronisch immunbeeinträchtigten Menschen eine vierte Covid-Impfung nahegelegt, gestützt durch eine STIKO-Empfehlung.

Diese Empfehlungen, die ja recht gut den wissenschaftlichen Daten folgen, kann man, medizinisch betrachtet, sehr gut nachvollziehen und mittragen. Schaut man sich aber den Wandel im Umgang mit der Impfung und deren Wirksamkeitserwartungen in der breiten Gesellschaft und bei der politischen Führung an schwindet recht rasch der Glaube an eine wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit dem Thema.
Schon die Empfehlung zum (ersten!) Booster für alle Erwachsenen ist alles andere als auf ein breites wissenschaftliches Fundament begründet: Eine bahnbrechende Verminderung schwerer Verläufe oder gar von Todesfällen war hier nicht nachzuweisen.

Weiter veränderte sich die Blickrichtung im Verlauf auf die wieder ansteigenden Covid-Infektionszahlen im Laufe des Jahres 2021, auch und insbesondere bei Geimpften. Rasch wurde der Begriff der “Durchbruchsinfektion” unkritisch dafür verwendet, der nahelegt, die Impfung würde ihren Zweck verfehlen – ein großer Imageschaden für die eigentlich sehr guten Impfmöglichkeiten! Die Masse dieser Infektionen trotz einer vollständigen Covid-Immunisierung waren und sind schlicht einfache, schleimhautbetonte Covid-Infektionen, die tatsächlich und berechtigterweise an “banale Atemwegsinfekte” denken lassen. Das ist so überhaupt nicht überraschend, wurde doch von Anfang an nur vom “Schutz vor schweren Verläufen” gesprochen. Die Politik hingegen sprang rasch auf den Zug auf, im Rahmen von “Zero-Covid-Initiativen” wurde das medizinisch Unmögliche plötzlich zum Ziel deklariert: die völlige Vermeidung von Covid-Infektionen jeglichen Verlaufes! Rasch wurde die Booster-Impfung zum “Pflichtbestandteil” einer vollständigen Immunisierung, wird mittlerweile über die vierte Covidimpfung bei auch immunkompetenten Menschen gesprochen. Darüber völlig vergessen wurde der ursprüngliche medizinische Zweck der Covid-Impfung: Vermeidung von Todesfällen und Vermeidung einer Überlastung der Intensivstationen durch schwere Verläufe!

Wenn wir den Weg von der Pandemie in die Endemie gehen wollen müssen wir an dieser Stelle umdenken: wir müssen akzeptieren, dass eine Immunisierung gegen SARS-CoV2, ob nun durch eine Infektion oder durch eine Impfung, niemals einen Langzeitschutz gegen milde Krankheitsverläufe bieten wird. Dagegenzusetzen sind aber die fassbaren Gefahren von Herzmuskelentzündungen durch Covid-Impfungen, die vorrangig die sehr junge Bevölkerung zwischen 16 und 29 Jahren betrifft – der Gruppe, denen Boosterungen nahzu keinen Vorteil bringen. Hier muss ein Kurswechsel dringend erfolgen, die Impfkampagne wieder auf das eigentliche Ziel zurückgelenkt werden: dem Schutz von Alten, Hochbetagten und schwer Immunkomprimierten. Weiter tut eine unaufgeregte Auseinandersetzung mit milden Covid-Infektionen not, werden diese doch in einigen Jahren genauso alltäglich für uns sein, wie Rhinovirus-, Influenza- und weitere Erkältungsviren. Ansonsten wird aus der Zero-Covid-Strategie demnächst eine No-Exit-Strategie, die unnötig Ressourcen bindet und keinen nachweisbaren Nutzen mehr zeigt!

Bild: Pexels.comm / Maksim Goncharenok

Quellen:
[1] Polak FP et al: Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N Engl J Med 2020 online 10.12.2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2034577
[62] Bar-On YM: Protection of BNT162b2 Vaccine Booster against Covid-19 in Israel. N Engl J Med 2021;385:1393-400
[63] Barda N: Effectiveness of a third dose of the BNT162b2 mRNA COVID-19 vaccine for preventing severe outcomes in Israel: an observational study. Published Online
October 29, 2021 https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02249-2
[75]Arzneitelegramm: COVID-19-IMPFUNG: NEUES ZUR ZWEITEN BOOSTERDOSIS. arznei-telegramm 2022 (53); 5:33-35

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